Das Bundesgericht hat im Entscheid BGer vom 28.05.2025, 7B_358/2025 (zur Publikation vorgesehen) zentrale Fragen zur Sicherheitshaft im Berufungsverfahren bei selbständigen nachträglichen Entscheiden geklärt.
1. Kompetenz der Berufungsinstanz:
Die Verfahrensleitung des Berufungsgerichts kann über die Verlängerung der Sicherheitshaft von Amtes wegen entscheiden. Anders als im Haftprüfungsverfahren der ersten Instanz ist für die Verlängerung kein Antrag der Staatsanwaltschaft oder Vollzugsbehörde erforderlich.
2. Keine Befristungspflicht im Berufungsverfahren:
Eine spezifische Befristung der Sicherheitshaft durch die Berufungsinstanz ist nach derzeitiger Gesetzeslage nicht nötig. Die Haft kann bis zum Berufungsurteil aufrecht erhalten werden, wobei die beschuldigte Person jederzeit ein Haftentlassungsgesuch stellen kann.
3. Strenge Anforderungen ans rechtliche Gehör:
Die Berufungsinstanz muss dem Beschuldigten sämtliche im Haftverlängerungsverfahren eingereichten Akten und Stellungnahmen vor ihrem Entscheid zustellen und Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Die nachträgliche Zustellung mit der Verfügung genügt dem Gehörsanspruch nicht. Eine Verletzung dieses Replikrechts führt zur Rückweisung an die Vorinstanz – eine materielle Überprüfung der Haftvoraussetzungen unterbleibt dann vor Bundesgericht.
Fazit: Das Urteil bringt Klarheit hinsichtlich der Rollenverteilung im Berufungsverfahren, stellt aber auch hohe Anforderungen an die Wahrung des rechtlichen Gehörs. Praktikerinnen und Praktiker sollten die strengen Vorgaben für das Replikrecht beachten.
Wie stellen Sie in Ihrer Praxis sicher, dass das Recht auf Gehör im Haftverfahren umfassend gewahrt bleibt?