Berufungsgericht nicht an Einzelrichter-Strafgrenze gebunden

Mit BGer vom 31.07.2025, 6B_1327/2023 (zur Publikation vorgesehen) hat das Bundesgericht wichtige Klarstellungen zum Prüfungsumfang und zur Strafzumessung im Berufungsverfahren getroffen.

Im zugrundeliegenden Fall wurde der Beschuldigte wegen mehrerer Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz vor dem Einzelgericht verurteilt. Das erstinstanzliche Gericht sprach eine bedingte Freiheits- und Geldstrafe aus sowie eine Busse. In der Berufung beschränkte sich der Beschuldigte auf den Widerruf einer Geldstrafe, während die Staatsanwaltschaft in der Anschlussberufung lediglich die Gewährung des bedingten Vollzugs ins Visier nahm. Das Obergericht erhöhte die Freiheitsstrafe auf 21 Monate (teilbedingt) und verzichtete auf den Widerruf der Geldstrafe.

Das Bundesgericht hielt fest, dass die Berufungsinstanz bei einer Anfechtung der Strafzumessung stets sowohl das Strafmass als auch die Frage des bedingten Vollzugs umfassend prüfen darf. Eine materielle Teilbarkeit dieser Bereiche besteht nicht, da beide eng miteinander verknüpft sind. Dieses Vorgehen verletzt weder die Dispositionsmaxime noch das Verschlechterungsverbot (reformatio in peius), sofern – wie hier – eine Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft vorliegt.

Entscheidend ist weiter: Die Strafzumessungskompetenz des Berufungsgerichts ist nicht durch die max. zulässige Strafe eines erstinstanzlichen Einzelgerichts (etwa 18 Monate gemäss kantonalem Recht) beschränkt. Das Berufungsgericht kann die Strafe im gesetzlichen Rahmen erhöhen, ohne den Anspruch des Beschuldigten auf ein zuständiges Gericht zu verletzen.

Schliesslich bestätigt das Bundesgericht, dass bei erheblicher Vorbelastung, Hartnäckigkeit und fehlender Einsicht eine teilbedingte Strafe sachgerecht sein kann und keinen Ermessensmissbrauch darstellt.

Was bedeutet dieses Urteil für die Praxis der Berufungsanmeldung – insbesondere bei engen Teilen der Strafzumessung?

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