Menschenhandel: Bundesgericht weitet Schutz vor Ausbeutung aus

BGer vom 07.04.2025, 6B_296/2024 (zur Publikation vorgesehen)
Volltext des Urteils

Das Bundesgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, unter welchen Voraussetzungen ein Austausch von Hausarbeiten und Kinderbetreuung ohne Lohn als Menschenhandel oder Wucher gemäss Strafgesetzbuch (Art. 182, Art. 157 StGB) zu qualifizieren ist. Die Beschwerdeführerin, eine marokkanische Staatsangehörige, hatte über Jahre im Haushalt eines Paares unentgeltlich gearbeitet und machte geltend, Opfer von Ausbeutung und Menschenhandel geworden zu sein.

Die kantonalen Instanzen hatten sowohl Menschenhandel als auch Wucher abgelehnt und das Verhältnis als unentgeltlichen Dienstleistungstausch beurteilt. Das Bundesgericht legt nun klar fest:

  • Ob ein entgeltlicher Vertrag vorliegt, hängt nicht nur von einer nominellen Gegenleistung (z.B. Unterkunft und Verpflegung), sondern auch von deren wirtschaftlichem Wert und der Dauer bzw. Regelmässigkeit der Tätigkeit ab. Auch wenn die Parteien ihr Verhältnis als Gefälligkeit bezeichnen, kann ein entgeltlicher (Arbeits-)Vertrag bestehen, wenn eine wirtschaftliche Vermögensmehrung erzielt wird.
  • Für Wucher (Art. 157 StGB) ist eine deutliche wirtschaftliche Disproportionalität zwischen Leistung und Gegenleistung erforderlich. Die Vorinstanz muss im Einzelfall klären, ob das Verhältnis offensichtlich missbräuchlich war.
  • Menschenhandel im Sinne des Art. 182 StGB erfasst auch den Rekrutierungsprozess, bei dem eine Person in eine Ausbeutungssituation geführt wird – selbst wenn die eigentliche Ausbeutung (noch) nicht konkret eingetreten ist.
  • Es ist zu eng, das Vorliegen von Menschenhandel oder Zwangsarbeit allein deswegen auszuschliessen, weil eine gewisse Bewegungsfreiheit oder soziale Kontakte bestanden. Auch unter solchen Umständen können Zwangs- und Ausbeutungssituationen vorliegen.

Das Bundesgericht weist die Sache an die Vorinstanz zurück, damit diese den Einzelfall unter Beachtung dieser Vorgaben erneut prüft.
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